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Donnerstag, 19. Juli 2012

Wie man lernt, langsam zu gehen


Gestern war ich wie üblich im Multitasking-Modus. Aus der kleinen innerstädtischen Seilbahn raus, die Treppe runter... leider nicht gegangen, sondern gefallen, weil ich gleichzeitig auf meinem iPhone etwas tippte. Der Fuss tat extrem weh, ich konnte kaum mehr darauf stehen. In der Notaufnahme des Spitals erfuhr ich dann, dass es sich um ein mindestens gezerrtes, eventuell auch gerissenes Band im Sprunggelenk handle. Offenbar sei diese Verletzung bei ihnen  an der Tagesordnung. Resultat: eine Woche ruhig stellen mit Krücken, fünf Wochen eine Art Gipsschiene tragen. Wer einmal Krücken hatte, weiss: man geht damit relativ langsam im Vergleich zu der Vortbewegung mit zwei Beinen (jedenfalls, wenn man nicht gerade mit kräftigen Oberarmmuskeln ausgestattet ist). Während man zuvor mal "eben schnell" was aus der Küche holen konnte, wird diese Aktion jetzt zu einer grösseren Wanderung, die gut geplant sein will. Will man nicht nur etwas aus der Küche holen, sondern noch etwas dahin bringen, sollte man sich das vorher überlegen. Was aber das Erstaunlichste ist: Multitasking wird beinahe unmöglich. Nachdenken während des "Gehens" tut man automatisch nicht mehr, weil das Gehen die ganze Aufmerksamkeit beansprucht. Man lebt ständig im Hier und Jetzt. Das bedeutet aber nicht, dass sich jetzt jeder mal eben die Treppe runter stürzen sollte, um im Alltag langsamer und bewusster zu leben. Dafür gibt es weniger schmerzhafte Methoden wie Meditation oder auf Multitasking zu verzichten.

Die ganze Geschichte hat mich dazu gebracht, über die Rolle der Technologie nachzudenken. Im Alltag erfüllt die Technologie eine ähnliche Funktion wie ein Schnuller für das Baby. Ist es unzufrieden, hilft der Schnuller dagegen, ist es traurig, braucht es seinen Schnuller. Muss man 5min warten und kommt deswegen leichte Unzufriedenheit/Langeweile auf: Smartphone zücken. Nervt einen im Zug der telefonierende Nachbar: Smartphone zücken und Musik rein. Hat man zu Hause einen leichten Anflug von Langeweile und regnet es draussen: Laptop, Fernseher, alles dient als Schnuller gegen die innere Unzufriedenheit. Leider entfernt man sich dadurch auch immer mehr von der Realität. Auf der Strasse verpassen wir spannend aussehende Menschen, den leichten Geruch nach Schweiss im Bus oder das Gefühl der Langeweile, dem ein plötzlicher Geistesblitz folgt, weil unser Gehirn beim Ausruhen plötzlich kreativ wird. Nicht zu vergessen die spontanen Gespräche, die entstehen könnten. Normalerweise wirkt jemand mit dem Smartphone in der Hand recht abweisend.
Zu Hause wäre dann eher die Frage, ob Technologie die einzige Freizeitbeschäftigung bleiben muss. Am Laptop oder vor dem Fernseher vergessen wir die Zeit und plötzlich sind zwei Stunden vorbei, die wir vielleicht anders nutzen wollten. Es hilft, zwischendurch einfach mal bewusst Zeiten einzuplanen, in denen man raus geht, Sport macht, Bastelt, Musik macht oder ein Brettspiel aus der Kindheit wieder aufleben lässt. Das Leben ist zu kurz, um es ständig vor einem Bildschirm zu verbringen.


Und vielleicht noch eine These zum Schluss: das Leben bremst einen irgendwann gezwungenermassen aus, wenn man nicht selber bremst. Mein Unfall ist passiert, weil ich viel zu viel Tempo drauf hatte. Ich hatte mir an dem Tag keine Minute gegönnt, um mich in aller Ruhe wahrzunehmen oder um einfach mal dazusitzen und meine Umgebung zu beobachten. Arbeit, dann Einkäufe, rasch zur Bibliothek... Der "rasche" Ausflug dauerte dann zwei Stunden länger als normal. Dasselbe kann auch passieren, wenn man sich total überarbeitet und irgendwann mit der Grippe im Bett landet. Ausgeknockt.
"Pausen machen" heisst die Lösung.

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