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Mittwoch, 20. Juni 2012

Die Kunst der Entscheidung

Ich bin gerade in einem gestalterischen Vorkurs und werde danach an einer Kunstfachhochschule studieren. Kürzlich ist mir aufgefallen, dass die minimalistischen Prinzipien auch hier greifen. Ich hab sie mal etwas allgemeiner formuliert, damit sie möglichst universell anwendbar sind:

Nur so viel wie nötig

Wie oft habe ich mich hingesetzt und versucht, das perfekte Kunstwerk zu erschaffen. Und musste die Lehrerin sagen: "Du versuchst das viel zu kompliziert. Nimm nur etwas Kleines, etwas ganz Einfaches, und bau darauf auf." Als Anfängerin kann man nicht Farben, Formen, Strukturen und was weiss ich alles gleichzeitig kontrollieren. Komplexe Ideen sind auch meistens die, die nicht funktionieren oder nie so gut aussehen, wie einfache. Statt gleich ein grossartiges Bild zu malen - wieso nicht einfach immer Farbklänge mit 3-4 Farben zusammenstellen und schauen, welche Farbkombinationen zusammen welche Wirkung erzielen? Oder drei Farbtupfer und zu jedem einen kurzen Text - daraus entsteht bereits eine Geschichte. Manchmal braucht man so wenig, um etwas Tolles herzustellen.

Material sparen. Man braucht zwangsläufig jede Menge Fehlversuche und Papier, wenn man z.B. malt oder zeichnet. Hier kann man nicht sparen. Farben kann man sparen, indem man zumindest auf der Palette nicht grosszügig anmischt, um sie anschliessend drei Tage eintrocknen zu lassen (ist mir auch schon passiert). Manchmal hilft es, auf ganz normalem Papier zu arbeiten statt z.B. auf teurem Japanpapier. Man ist weniger gehemmt.

Reduziere Überflüssiges

Manchmal hilft es, die eigenen Möglichkeiten zu reduzieren. Schauen wir uns folgende Szenarien an:

"Verdammt, ich kann das nicht! Ich bin keine Künstlerin! Ich sitze hier vor 10 Papiersorten und dann muss ich mich noch entscheiden, womit ich male! Acrylfarbe, Ölfarbe, Gouache, Aquarell, Airbrush, Tusche... Es ist zum Haareausreissen!"


"Ich bin total überfordert mit diesem Angebot an Techniken. Heute habe ich Lust darauf, mit Aquarell zu malen. Ich werde mal diese Nass-in-Nass-Technik ausprobieren. Vor meiner Nase steht gerade eine Flasche Mineralwasser. Malen wir doch einfach die."

Natürlich ergeben sich ganz tolle Bilder, wenn man unterschiedliche Techniken mischt. Aber an irgendeinem Punkt muss ich eine Entscheidung treffen - sonst sitze ich am Ende frustriert vor dem Fernseher, statt zu malen.

Mehr von dem, was wichtig ist

Ich muss unbedingt mal ein T-Shirt selber nähen, das ist doch cool, wenn man den Stoff *und* den Schnitt selber wählen kann. Vielleicht kann ich irgendwann meine eigene Mode kreieren. das wäre so cool!

Ich möchte wissen, wie die früher gekocht haben. Also suche ich mir ein historisches Rezeptbuch heraus. Da hat es Rezepte, auf die wäre ich nie gekommen! Und die sättigen auch noch super! Muss ich sofort alle kochen.

Für meine Malerei brauche ich mal einen Ablagetisch. Wieso designe ich nicht gleich selber einen. Das ist doch wundervoll - Möbel selber bauen! Und irgendwann habe ich eine Wohnung mit Original self-made Designer-Möbeln! Wow!

Äh... War da nicht noch was? Stimmt! Ich wollte eigentlich mehr malen, weitere Projekte starten, damit ich mein Portfolio füllen kann, damit sie mich dann an der Kunstfachhochschule auch nehmen. Das wird hart. Ich muss echt gut sein, damit die mich nehmen. Hatte ich irgendwie verdrängt.

Noch etwas, das Entscheidungen erfordert. Ich bin ein Ideen-Messie. Am Ende bin ich total überfordert mit den vielen Ideen und hab gar keine Zeit mehr für irgendwas. Alles, was ich tue, passiert nur noch "häppchenweise", denn für eine einzelne Sache bleibt gar nicht mehr so viel Zeit. In meinem Tagesplan sieht es aus wie in einer vollgestopften U-Bahn. Ich könnte ja etwas verpassen.
Am Ende verpasse ich jede Menge. Wenn ich wieder am geistigen "Ausmisten" bin, merke ich, wie unglaublich befriedigend es ist, ein paar Stunden an derselben Sache zu arbeiten. Am Ende wirklich ein Ergebnis zu haben, nicht nur kleine "Häppchen".


Entscheidungen sind eine verdammt schwierige Sache. Aber wenn man sich nicht entscheidet, trifft man auch eine Entscheidung. Passivität. Das Leben wird zugemüllt und am Ende bleiben nur noch Häppchen übrig statt einer richtigen Mahlzeit.

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